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“In welcher Parallelwelt leben wir?” Sawsan Chebli zweifelt an ihrem Deutschsein

"In welcher Parallelwelt leben wir?" Sawsan Chebli zweifelt an ihrem Deutschsein

Quelle: www.globallookpress.com © Annette Riedl/dpa“Noch nie so stark an meinem Deutschsein gezweifelt”: Chebli im Juli 2023 in Berlin

Die Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli hat die einseitige Berichterstattung der deutschen Medien zum Nahostkonflikt kritisiert. Auch der deutschen Gesellschaft warf Chebli im Gespräch mit der taz Einseitigkeit und angesichts der Schrecken in Gaza mangelnde Empathie gegenüber den Palästinensern vor:

“Wir wachen mit Bildern von toten und verstümmelten Kindern auf und gehen mit Bildern von toten und verstümmelten Kindern ins Bett. Und von der deutschen Öffentlichkeit erfahren wir kaum Empathie und Solidarität, sondern Ausgrenzung, Misstrauen und immer öfter puren Hass. Es tut auch weh zu sehen, dass so viele Menschen, die sonst laut sind, wenn es um Menschenrechte geht und darum, Grundrechte zu verteidigen, zu Gaza schweigen.”

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Um sich über den Nahostkonflikt zu informieren, verfolge sie US-amerikanische, britische und arabische Medien. Sie informiere sich auch über soziale Netzwerke. Deutsche Medien verfolge sie nur, um die Debatte im Land mitzubekommen:

“Ich denke mir oft: In welcher Parallelwelt leben wir in Deutschland eigentlich? Viele Nachrichten kommen hier schlicht nicht vor, vieles ist einseitig und verzerrt.”

Sie habe zunächst Verständnis für jüdische Freunde empfunden, wenn diese kein Mitgefühl für das Leid der Menschen in Gaza empfinden konnten, habe aber selbst immer den Schmerz bei ihnen sehen können. Nun offenbare sich bei einigen Leuten aber “ein antipalästinensischer Rassismus, der mich wirklich erschüttert.” Auch mit ihrer Partei ist Chebli in dieser Frage nicht einverstanden:

“Keine Wahl ist mir bisher so schwergefallen wie die letzte Europawahl, vor allem wegen der Haltung der SPD zu Gaza. Ich kenne so viele Menschen, die sonst immer die SPD gewählt haben, ihr dieses Mal aber die Stimme verweigert haben. Die SPD täte aus moralischen und realpolitischen Gründen gut daran, dies nicht einfach zu ignorieren.”

Scharfe Kritik übte die frühere Berliner Staatssekretärin an der Instrumentalisierung des Antisemitismusbegriffs in der gegenwärtigen Debatte:

“Wir erleben, dass der Antisemitismusbegriff zunehmend entgrenzt und instrumentalisiert wird, um legitime Kritik zu unterbinden. Das schadet dem Kampf gegen Antisemitismus. Wir müssen dringend zu einer sachlichen Verwendung des Begriffs zurück. Im Moment wird selbst Wissenschaftlern, die zu Antisemitismus forschen und für eine differenzierte Sichtweise plädieren, unterstellt, sie würden Antisemitismus nicht ernst nehmen – nur weil sie darauf dringen, Kritik an staatlichem Handeln nicht mit der Hetze gegen eine verletzliche Minderheit gleichzusetzen.”

Vor dem Hintergrund der konstatierten Missstände stellte Chebli auch ihren eigenen Verbleib in der Bundesrepublik infrage:

“Es gibt in der Tat viele Menschen, die sich diese Frage stellen und mit dem Gedanken spielen, das Land zu verlassen. Auch ich stelle mir diese Frage. Zumindest habe ich noch nie so stark an meinem Deutschsein, an meiner Heimat und an der Frage, ob mich dieses Land will, gezweifelt wie jetzt. Mein Deutschsein hat schon durch [Thilo] Sarrazin, die NSU-Affäre, die Islam-Debatten und den Anschlag von Hanau immer wieder Schrammen bekommen. Inzwischen ist aus einer Schürfwunde eine tiefere Verletzung geworden.”

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Sawsan Chebli wurde 1978 als Kind palästinensischer Flüchtlinge in Westberlin geboren. Nach ihrem Eintritt in die SPD und einem Politikstudium machte sie in der Politik Karriere. Von 2014 bis 2016 war Chebli stellvertretende Sprecherin des Auswärtigen Amtes, danach bis 2021 in der Berliner Senatskanzlei Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales. Ihr 2023 erschienenes Buch “Laut. Warum Hatespeech echte Gewalt ist und wie wir sie stoppen können” erhielt bei Amazon ungewöhnlich schlechte Bewertungen.

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